the european biennial of contemporary art
manifesta 7 logo

orte

ROVERETO

ADAM BUDAK: "PRINCIPLE HOPE"

EX PETERLINI, SAVIOLISTRASSE 20 UND MANIFATTURA TABACCHI, P.ZZA MANIFATTURA 1-STAZIONE FERROVIARIA, PIAZZALE ORSI, I-38068 ROVERETO, ITALIEN

Manifattura_tabacchi-hugo_munoz__ufficio_stampa_pat

Das von Adam Budaks Kuratorenteam (Nina Möntmann, Tobi Maier, Krist Gruyhuysen, Büro für kognitiven Urbanismus – Christian Teckert und Andreas Spiegel) entwickelte Ausstellungs- (und darüber hinaus) Projekt für Manifesta 7 befasst sich vor allem mit der Darstellung und Analyse von (kultureller und politischer) Raumökologie und deren Öffentlich-keit. So zielt es auf den Entwurf provisorischer (Ausstellungs) Strategien und kritischer (diskursiver) Angebote ab, die in die Richtung eines ANDEREN öffentlichen Raums (oder eines sanften Manifests für einen ANDEREN öffentlichen Raum) weiterführen könnten.
Der Begriff „Kritischer Regionalismus“ (wie er vom Architekturtheoretiker Kenneth Frampton eingeführt wurde) dient als Tafel, auf der die Überprüfung des Althergebrachten und Traditionellen stattfindet und ein erneuertes Vokabular von Trans-lokalität artikuliert wird. Diese Idee, die öffentlichen Raum als einen Platz des Austausches vielfältiger Werte begreift, konzentriert sich auf die Ermittlung des „richtigen Ortes“ für den (öffentlichen) Diskurs zwischen einer Vielzahl von Definitionen und der ungewissen Zeitbestimmtheit öffentlicher Angelegenheiten. Viel steht dabei auf dem Spiel: vom „eigenen“ Raum (Eigentum) über den „legalen“ Raum (Eigentum und Legalität), herunter zum autonomen Raum (Emanzipation) und zur präzisen Darstellung der „Eigenart eines besonderen Ortes“.
Kritischer Regionalismus – „selbstbewusstes lokales Leben“ – dient als Mittel, um Spannungen zwischen Globalisierung und Provinz, Modernität und Tradition aufzulösen und bezeichnet dadurch auch eine Widerstandsform – eine eindeutige Reaktion auf normative universelle Standards, Vorgehensweisen und Formen ebenso wie auf technologische und ökonomische Bedingungen. Das wirft eine Reihe von dringenden Fragen auf, die mit Historismus Nationalromantik, Authentizität und dem Nationalstaat zu tun haben und erschließt ein Feld, auf dem die Formen von (räumlicher, nationaler, singulärer) Zugehörigkeit und Identifikation durch Entfremdung dekonstruiert werden: Kritischer Regionalismus interessiert sich für bestimmte Elemente aus der Region, die als Generatoren von Gemeinschaft und Identität stiftend wirken. Kritischer Regionalismus bindet diese eher auf „absonderliche“ als auf „vertraute“ Art und Weise ein und zerbricht damit – Bewusstsein auslösend – die sentimentale „Umarmung“ von Gebäuden und deren Bewohnern. In Übereinstimmung mit Frampton führt das auf Regionen (als aktive Widerstandszentren) bezogene Denken zur fühlbaren Unmittelbarkeit von Raumerfahrung, zur notwendigen Antwort auf Klima und Topographie, zu einer Verknüpfung von Wirklichkeitssinn und der kulturellen Bedeutung architektonischer Formen und zur Möglichkeit lokale Arbeit und lokales Wissen für architektonische Produktion einzusetzen. Die norditalienische Region Trentino-Alto Adige/Südtirol (als Gastgeber der Manifesta 7) und besonders Rovereto (der bislang kleinste Standort in der Manifesta-Geschichte) und deren postindustrielle Ausstellungsstandorte (Ex-Peterlini und Manifattura Tabacchi) sind Fallstudien im Prozess der Neudefinition der Existenzbedingungen für Tradition im sozialen und kulturellen Umfeld einer scheinbar trüben Aufgliederung zwischen Privat und Öffentlich, die unsicher zwischen dem noch-nicht-bestehenden, autonomen (Post)Politischen, und einer jenseits des Staates sich emanzipierenden Mikrostruktur kommunaler Identität schwankt.
Darüber hinaus betrachtet die Ausstellung die Ethnologie des Raums als methodologischen Bezugspunkt bei der Betrachtung des „nebensächlich“ Lokalen, Konkreten, Kleinen, scheinbar Unbedeutenden und Marginalen innerhalb einer ruinierten Landschaft verschleppter Restrukturierungsprozesse und post-industrieller Transformation. Ernst Blochs Philosophie des Althergebrachten und besonders seine Darstellung der Kleinstadt ergänzen die Vermessung der interregionalen Matrix von Identitätspolitik. Hier erscheint die Kleinstadt als ein Modell, ein Bild, eine primäre Struktur – ein Raum für Mehrdeutigkeit und dialogale Kommunikationsformen, die mit moderner Kultur verknüpft sind; Tradition wird hier als besonderer Geisteszustand definiert, als ein “sich unterscheidender Ort“. In Blochs Philosophie ist die Kleinstadt ein aktives Gebiet, weit entfernt von nostalgischer Sehnsucht und dem Trauma des Aufgegebenen, ein dynamischer Ort, wo Modernität auf ihre eigenen Widersprüche stößt und ihre komplexe Grammatik von physikalischer und geistiger Zugehörigkeit entwickelt. Bloch plädiert für ein offenes Konzept von Wirklichkeit, wo das „Noch-Nicht-sein“ zur Möglichkeit und Hoffnung zum Seinsprinzip wird, zu einer Kraft, die in Richtung einer besseren Zukunft drängt. Hoffnung ist Träumen, aber auch docta spes, ein (nachhaltiger) Wunsch und/oder ein Wunsch nach Nachhaltigkeit. Das Projekt navigiert durch das Dilemma jenes Prinzips, das unser Leben formt und bestimmt, im permanenten Fortschreiten zwischen einer (konkreten) Utopie und dem Versprechen eines realen Zusammentreffens. Wie kann das Noch-Nicht menschlicher (sozialer und politischer) Entwicklung dargestellt, wie kann Hoffnung mitten im Lärm der aggressiven Rhetorik einer (schon) korrumpierten Zukunft ausgemacht werden? Hoffnung ist der geistige Entwurf zeitlicher und räumlicher Bestimmungsgrößen, eine Bewegung in Richtung des Verdeckten und Unbekannten: „ein eingebildeter Entstehungsraum“, ein Agent des Traditionellen. So gesehen ist Hoffnung ein hybrides Konzept, eine Vermittlerin zwischen Theorie und Praxis und die Vertreterin einer (antizipatorischen) Identität.
Ein wichtiges Kapitel des Projekts wird sich auf die Bestandteile und die Widersprüche des Post-Politischen im öffentlichen Raum und dessen kommunales und (möchtegern) demokratisches Rüstzeug konzentrieren. Angesichts der wachsenden Unmöglichkeit sozialer Autonomie auf der einen Seite und des Drangs nach Emanzipation auf der anderen, ist der öffentliche Raum einem mühsamen Prozess von Identitätsverwirrung unterworfen: als „machtlose Struktur“ von Zugangsverboten und (immer noch verführerisches und fruchtbares) Feld von Aktivismus und radikaler Ein-bildung. Übersemantisiert, erscheint öffentlicher Raum als überschätzter Gestus und als Ort des Verfalls, der aber immer noch als Raum von Möglichkeit und des (bedingungslosen) Engagements wirkt: Somit ist öffentlicher Raum ein Machtfeld, in permanenter Spannung zwischen dem Richtigen, der eigenen Stärke und latenter Hinfälligkeit. Das Projekt verhandelt die Legitimität öffentlicher Räume und bietet eine Reise zu Methodologien des Widerstands indem die ein-gebildeten Topographien in Jorge Luis Borges´ „Die kreisförmigen Ruinen“ (eine Mischung aus Schein, Traum und utopischen Wünschen) mit Jacques Rancieres „aktivem Parlament“ (die Suche nach einem Telos von Gemeinschaft auf der Kreuzung zwischen dem Ende der Politik, oder/und realistischer Utopie) kombiniert werden.
Adam Budak
PRINCIPLE HOPE
ARTISTEN
Alterazioni Video, Michelangelo Antonioni, Knut Åsdam, Bernadette Corporation, Margrét H. Blöndal, Michal Budny, BURGHARD, Nina Canell, Libia Castro & Ólafur Ólafsson, Claire Fontaine, Oskar Dawicki, Evelina Deicmane, Rä di Martino, Miklós Erhardt and Little Warsaw, Igor Eskinja, Tim Etchells, fabrics interseason, Famed, Didier Fiuza Faustino, João Maria Gusmão + Pedro Paiva, Heide Hinrichs, Heidrun Holzfeind, Runa Islam, Ricardo Jacinto, Ragnar Kjartansson, Barbora Klímová, Daniel Knorr, Adam Leech, Deborah Ligorio, Miks Mitrevics, Christian Philipp Müller, Ewa Partum, Gianni Pettena, Riccardo Previdi, Philippe Rahm, Pamela Rosenkranz, Janek Simon, Luca Trevisani, Tatiana Trouvé, Uqbar Foundation, Guido van der Werve, Nico Vascellari, Danh Vo, Johannes Vogl, Stephen Willats, ZimmerFrei
featuring:
AUDITORY EPODE curated by Tobi Maier
Florian Hecker
Anna Ostoya
the next ENTERprise
Chris Watson
Zafos Xagoraris
RADIO EPODE @ Rai FM
manifeSTATION curated by the Office for Cognitive Urbanism (Andreas Spiegl, Christian Teckert)
Azra Aksamija
Andreas Duscha
Sonia Leimer
Christian Mayer
Kamen Stoyanov
Adrien Tirtiaux
Anna Witt
MATTER OF FACT curated by Krist Gruijthuijsen
Jeremiah Day
Renzo Martens
Olaf NIcolai
Adam Pendleton
Falke Pisano/ Will Holder
Ricardo Valentim
SOCIAL ART PRAXIS curated by Cornelia Lauf (IUAV, Venice)
Airswap
Aspramente
Publink
PUBLICATION
PRINCIPLE HOPE. DAYDREAMING THE REGION,
co-edited by Adam Budak and Nina Möntmann, with essays by T.J. Demos, Simon Critchley, Bernd Hüppauf, Suzana Milevska, Jochen Becker, Erden Kosova, Alan Colquhoun and Gianni Pettena, conversations between Marco de Michelis and Franco Rella, Mirko Zardini and Gianni Pettena, Nina Möntmann and Ayreen Anastas & Rene Gabri, Judith Butler and Gayatri Chakravorty Spivak, art contributions by Uqbar Foundation and Christian Philipp Müller, as well as introductions by Nina Möntmann and Adam Budak.
Editorial manager: Dan Kidner